Jugendarbeitslosigkeit
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31.05.2012
Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland Schatten auf der Boom-Statistik
Von Yasmin El-Sharif
dapd
Besucher einer Jobmesse: Je älter die jungen Erwachsenen, desto größer die Gefahr
Die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland ist auf einem Rekordtief – und auch bei der Jugendarbeitslosigkeit glänzt die Statistik im europaweiten Vergleich. Doch die Daten beschönigen die tatsächliche Lage. Noch immer fehlen Hunderttausende Ausbildungsplätze
Hamburg – Es war ein trauriger Rekord, den Frankreich am Mittwoch erreichte. Die Zahl der Arbeitslosen ist dort zuletzt weiter gestiegen – auf den höchsten Wert seit 13 Jahren.
Ganz anders die Lage im Nachbarland Deutschland. Hier schmilzt die Zahl der Erwerbslosen Monat für Monat: Im Mai waren 2,85 Millionen Menschen ohne Job – und damit so wenige wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr, wie die Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag mitteilte.
Angesichts dieser traumhaften Daten dürfte Frankreichs neuer Präsident François Hollande vermutlich vor Neid erblassen. Ganz besonders dann, wenn er auf die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik schaut. Auch dieser Wert sank im Mai, auf 5,4 Prozent. Frankreich kämpft gegen eine mehr als doppelt so hohe Quote. Wegen ihrer vielen jungen Arbeitslosen stehen Länder wie Frankreich oder Spanien derzeit international in der Kritik. Die Uno warnte erst in der vergangenen Woche öffentlichkeitswirksam vor einer “verlorenen Generation” in den europäischen Krisenstaaten. Deutschland dagegen wird regelmäßig als Musterschüler bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im allgemeinen – und der Jugendarbeitslosigkeit im Besonderen – gepriesen.
Deutschland – wunderbare Heimat junger Arbeitssuchender?
Sicher nicht, wie ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt. Klar, Deutschland hat mit seiner dualen Berufsausbildung einen beneidenswerten Vorteil gegenüber anderen Ländern. Immerhin werden Jugendliche dabei in Betrieben praxisnah ausgebildet und bekommen am Ende meist einen Abschluss, mit dem sie sich wunderbar weiterbewerben können. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem Jüngere zwischen 15 und 19 Jahren selten arbeitslos sind (3,2 Prozent). Bei jungen Erwachsenen bis 24 Jahren liegt der Anteil derer, die weder die Schule oder eine Lehre absolvieren und auch nicht arbeiten dagegen bei 6,3 Prozent. Anders ausgedrückt: Die geringe Arbeitslosigkeit bei den Jüngeren kaschiert die deutlich höhere Arbeitslosigkeit bei den Älteren. In dieser Altersgruppe ist die Bundesrepublik auch weit von einem europäischen Spitzenplatz entfernt.
Vielen droht die Langzeitarbeitslosigkeit
Die Teilnahme am Erwerbsmarkt und an Bildung nähme in Deutschland mit fortschreitendem Alter junger Menschen ab, fasste die Bertelsmann-Stiftung ihre alarmierenden Beobachtungen in einer Untersuchung aus dem vergangenen Jahr zusammen. Die Forscher brachten es auf diese Formel: Je älter die Kandidaten in Deutschland, desto häufiger sind sie von Arbeitslosigkeit betroffen. Vielen drohe gar die Langzeitarbeitslosigkeit.
Woran aber liegt es, dass so viele Jugendliche ab 20 Jahren so stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind? Werden die Zahlen auch hier etwas aufgehübscht, wie bei der Gesamtstatistik auch?
Um es kurz zu sagen: ein bisschen. Denn es hat vor allem zwei Gründe, dass die deutsche Statistik für Jugendliche so glanzvoll erscheint:
die vergleichsweise lange allgemeine Schulpflicht in Deutschland;
die staatlich finanzierten Qualifizierungsmaßnahmen zwischen Schule und Berufsausbildung.
Fast 300.000 Jugendliche geraten jährlich in eine solche Warteschleife. Sie reichen von sogenannten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen über Einstiegsqualifizierungen bis zu Ein-Euro-Jobs. Das ist eine beachtliche Zahl im Vergleich mit den rund 540.000 jungen Erwachsenen, die im vergangenen Jahr eine betriebliche Ausbildung gestartet haben. Problematischer jedoch ist, dass mehr als die Hälfte der wartenden Jugendlichen sogenannte Altbewerber sind, die bei der Ausbildungsplatzsuche leer ausgegangen sind. Streng genommen fehlen also Hunderttausende Lehrstellen.
Der Vorwurf des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), aber auch der Bertelsmann-Stiftung: Die Jugendlichen, die keinen betrieblichen und auch keinen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz bekommen, werden an berufsvorbereitenden Schulen oder in anderen Qualifizierungsmaßnahmen geparkt. Dass sie damit in der Statistik auch nicht als Arbeitslose auftauchen, versteht sich von selbst. Das größere Problem aber sei weniger die Statistik, sagt Eric Thode von der Bertelsmann-Stiftung. “Die wenigsten Maßnahmen sind passgenau, oft zeigen sie nur einen Makel, ein Defizit auf. Zu einem anerkannten Abschluss führen sie dagegen selten.”
1,5 Millionen ohne Berufsabschluss schon aus dem System gerutscht
Es spricht für sich, dass der Maßnahmenkatalog allein im aktuellen Berufsbildungsbericht mehr als zehn Seiten füllt. Mehr als vier Milliarden Euro gibt der Staat für diese Warteschleifen aus. Und selbst der demografische Wandel dürfte an der Fülle der Maßnahmen nicht viel ändern. Laut Berufsbildungsbericht werden sich auch in zehn Jahren noch zwischen 165.000 und 230.000 Jugendliche im sogenannten Übergangsbereich befinden.
Die Forscher der Bertelsmann-Stiftung fordern daher einen radikalen Umbau des Systems, der jedem ausbildungsfähigen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz garantiert. Der schöne Nebeneffekt wäre auch eine weniger verzerrte Statistik.
Doch ein Problem ist dann immer noch nicht gelöst: 1,5 Millionen junge Erwachsene ohne Berufsabschluss sind schon jetzt aus dem System gerutscht. Das sind laut DGB sagenhafte 15 Prozent aller jungen Erwachsenen bis 34 Jahren. Nicht wenige von ihnen haben derzeit einen Job. Im nächsten Abschwung aber sind sie die potentiellen neuen Arbeitslosen. Spätestens dann dürfte der Lack von der deutschen Jugendarbeitslosigkeitsstatistik ab sein.